© Melissa Sloan

Eine Liebesgeschichte geht um die Welt

Wie Soziale Medien Menschen unsterblich machen

Nach 62 Ehejahren sterben Maxine und Don Simpson an einem Tag – innerhalb von vier Stunden. Maxine litt bereits seit einem Jahr an Krebs, Don stürzte zwei Wochen vor seinem Tod, brach sich die Hüfte, woraufhin sich sein Gesundheitszustand fortan verschlechterte. Die Enkelin Melissa Sloan und ihre Familie entschieden, das Paar zu Hause in einem gemeinsamen Zimmer zu pflegen. Die Betten zusammengestellt, sodass sich die beiden an den Händen halten konnten. In dem Wissen, nicht allein zu sein. Vier Stunden, nachdem Maxine ein letztes Mal atmete und ihr toter Körper aus dem Zimmer gebracht wurde, starb Don.

Melissa Sloan wandte sich an einen TV-Sender, erstellt eine Facebook-Seite zu Ehren ihrer Großeltern. Seitdem geht die Geschichte um die ganze Welt. Tageszeitungen, Onlinemedien und Zeitschriften verschiedener Länder berichten über die „True Love Story“. Melissa teilt mit der Öffentlichkeit Fotos ihrer Großeltern aus lange vergangenen Zeiten, von Familienfesten, Bilder, die sie vor einem Jahr geschossen hat, auf denen man das Paar verliebt, küssend, händchenhaltend und lachend sieht. Eben diese Art von Bildern, die früher hinter verschlossenen Schranktüren verstaut, im Fotoalbum nur für den engsten Freundes- und Familienkreis einsehbar waren.

Melissa Sloan ist mit dieser Idee nicht alleine. Soziale Medien fördern nicht nur den Konsum, sondern allen voran die Veröffentlichung von privaten Angelegenheiten.

Das Internet vergisst nicht

Was veranlasst uns dazu, intime Momente mit anderen zu teilen? Medienpsychologen sind sich einig, dass in jedem Menschen das Bedürfnis steckt, gehört zu werden. Wir möchten uns mitteilen, suchen nach Aufmerksamkeit und Bestätigung, um an der Kommunikation und der sozialen Welt aktiv teilzunehmen. Der Wunsch, alltägliche, persönliche, gar intime Dinge in der Öffentlichkeit festzuhalten, scheint sich mit dem Bedürfnis zu decken, seiner Nachwelt etwas zu hinterlassen – sich unsterblich zu machen.

Während früher nur denkmalgeschützte Gräber – etwa von Adeligen und Personen des öffentlichen Lebens – ein Recht auf Ewigkeit hatten, so kann heute jedem verstorbenen Menschen ein virtuelles und damit ewiges Denkmal gesetzt werden. Der Satz „das Internet vergisst nicht“ – häufig in Form von der kritischen Auseinandersetzung mit sozialen Netzwerken – bekommt hier einen positiven, bedürfnisstillenden Nachklang.

Klar ist, dass der Grat zwischen dem Teilen von (privaten) Informationen und dem Entblößen der eigenen Person sehr schmal ist. Ein verantwortungsvoller und selbstbewusster Umgang mit Sozialen Medien ist Voraussetzung für einen sicheren Auftritt in der (virtuellen) Öffentlichkeit. Das Internet vergisst nicht – eines Tages könnten wir die ein oder andere zu aufgeschlossene und unbedachte öffentliche Äußerung bereuen.

Soziale Medien im Trauergespräch

Es ist Ihre Aufgabe als Bestatter im Trauergespräch, Angehörige aufzufangen, die ihr Bedürfnis nach der Inszenierung eines Sterbefalls und ihrer eigenen Trauer im Internet äußern. Informieren Sie sie über die Risiken, aber auch über die Möglichkeiten. Klären Sie unsichere Trauernde auf und appellieren Sie an den bewussten Umgang in der Öffentlichkeit des Internets. Vielleicht sind Fragen hilfreich, die Angehörigen eine Orientierung geben: Wie ist die verstorbene Person zu Lebzeiten selbst mit sozialen Netzwerken umgegangen? Gab es eine besondere Abneigung gegen oder gar Angst vor den neuen Medien? Welche Erfahrung haben die Hinterbliebenen selbst gemacht? Was erhoffen sie sich davon, ihre Trauer öffentlich mitzuteilen?

Verena Hohmann