Das Phänomen „Nahtod“

Dauerbrenner in Talkshows und der medialen Thematisierung von Tod und Sterben sind seit Jahren die sogenannten Nahtodeserlebnisse. Sicher haben auch Angehörige im Bestattungshaus bei der Thematisierung von Sterbesituationen ähnliche Erfahrungen schon oft angedeutet oder explizit davon berichtet. Nahtodeserfahrungen haben wie der Name schon sagt nichts mit dem Tod an sich zu tun, denn jene, die davon berichten, waren ja nur an der Schwelle des Todes und konnten nach Reanimation oder kurzfristigem Herzstillstand ihr Leben weiterführen.

Daher haben Nahtodeserfahrungen auch nichts mit unterschiedlichen religiösen Jenseitsvorstellungen und den Fragen damit zu tun, ob es ein Jenseits oder einen  Himmel geben könnte. Die Berichte taugen ebenfalls nicht für den Versuch, ein Leben nach dem Tod zu beweisen. Eine absolute Gewissheit kann keiner dieser Zeugnisse geben. Es ist aber auffallend, dass Menschen aller Kulturen ähnliche Bilder berichten. Wären es nur hormonelle Fantasien, müssten diese doch in jedem Kulturkreis anders aussehen. So dienen die Hinweise und Berichte von Nahtodeserfahrungen durchaus dafür, dass ein Glaube an ein Leben nach dem Tod nicht gänzlich unbegründet ist.

Kulturübergreifende Empfindungen

Nahtodeserfahrung werden überindividuell und kulturübergreifend vor allem mit folgenden Empfindungen und Sinneswahrnehmungen verbunden:

  • Außerkörperliche Erfahrung: das Gefühl seinen eigenen Körper aus einer dritten Dimension etwa von oben herab zu sehen und auf die um das Leben ringenden Ärzte herabblicken zu können.
  • Angezogensein von einer extrem hellen Lichterfahrung mit Tunnelcharakter und kaum zu beschreibendem Grundgefühl vollkommener Harmonie.
  • Filmartige sequenzielle Rückblickszenen auf die eigene Biografie in extremem Zeitraffer und Einsicht in besondere Glücksmomente oder Situationen des Leids oder Versagens auf dem Lebensweg.
  • Einsicht in die inneren Zusammenhänge des seinerzeit als singulär angenommenen Geschehens.
  • Emotionales Nähegefühl zu bereits verstorbenen Angehörigen, die den mutmaßlich Sterbenden in irgendeiner Weise empfangen und willkommen heißen wollen und ihn in eine andere Sphäre hinüberzuführen versuchen.
  • Schlussendlich die drängend und als schwer empfundene Erkenntnis, dass der irdische Lebensweg noch nicht beendet ist und man mit allen Konsequenzen in die Dimension des eigenen Körpers zurückkehren muss. Abschließend verbunden mit Bewusstlosigkeit und dem Erwachen einige Stunden später außer Lebensgefahr im Krankenbett.

Letztes Geheimnis

Ein gutes Kriterium dafür, ob es sich um Berichte von Menschen mit überbordenden religiösen Fantasien bzw. geltungssüchtige Profilneurotiker, oder um authentische Berichte handelt, lässt sich darin manifestieren, dass ernst zu nehmende Berichte nie dominant missionierend oder vereinnahmend artikuliert werden, vielmehr als Hintergrunderfahrung für die eigene Lebensgrundeinstellung begriffen werden.

In Beratungssituationen im Bestattungshaus oder bei Berichten von Angehörigen ist von insistierenden neugierigen Fragen abzuraten, vielmehr sollten die Berichte in Ihrem eigenen individuellen Gehalt wertgeschätzt werden. Sie können durchaus unkommentiert im Raum stehen bleiben.

Es bleibt folglich auch für Bestatter die innere Erkenntnis, dass der Tod sein letztes Geheimnis behalten wird und es nicht zielführend sein kann, dieses bis ins Letzte lüften zu wollen.